Heimatverein Pätz e.V.

Der Pätzer „Lindenhof“

Der „Lindenhof“ in Pätz, wie wir ihn heute kennen, hat eine lange Geschichte. Nach Recherchen in den Kirchenbüchern, historischen Bauakten, alten Unterlagen und Überlieferung ergibt sich Folgendes:

Unsere heutige Gaststätte ist aus einem 1758 gegründeten Bauernhof hervorgegangen. Dieser Bauernhof gehörte damals Christoph Lieske (*1722 +1786). Seine Frau, deren Name leider nicht bekannt ist, lebte von 1725 bis zum 23.02.1785. Sie hatten zusammen, wie damals üblich, mehrere Kinder, von denen ein Sohn ca. 1760 geboren wurde und den Vornamen des Vaters trug. Er heiratete Anna Dorothea Erdmute Fiedler und bekam mit ihr mindestens vier Kinder. Ein Sohn von ihnen, Christoph Erdmann, wurde am 22.06.1792 geboren. Mit 35 Jahren wurde dieser Vater. Sein Sohn Johann Erdmann Lieske (*12.8.1827 +22.9.1918) ehelichte Louise Briesenick (*1826 +1904) und bekam mit ihr mindestens fünf Kinder.

Von hier an haben wir eine zuverlässige Quelle, denn Erna Brose + (geb. Lieske) war selbst Nachfahrin und hat uns ihren Stammbaum hinterlassen.

Die Tochter von Johann und Louise Lieske, Marie Auguste (*1852 +1919), heiratete den Nachbarsohn Carl Prillwitz. Ihr Bruder, der Bauer Johann Friedrich Otto Lieske, ehelichte Marie Janisch, die aber schon mit 31 Jahren im Kindbett verstarb. In zweiter Ehe war Otto Lieske dann mit Alwine Grass verheiratet. Als Sohn beider wurde am 15.02.1899 Willi geboren.

Die Bauernwirtschaft von Lieskes gehörte zu den größten Höfen in Pätz. Um 1900 wurden hier weitere Gebäude errichtet und die bereits vorhandene Pferdeumspannstation in einen Restaurationsbetrieb umgestaltet. In den Folgejahren wurde das alte Bauernhaus um zwei Etagen zu dem heutigen Gebäude aufgestockt, in dem sich dann Lieskes Wohnräume  und einige Fremdenzimmer befanden.

Der Tourismus in Pätz boomte, denn die wohlhabenden Berliner hatten im Umland die „Sommerfrische“ entdeckt. Sie frequentierten die Gasthöfe (in Pätz allein sieben Stück). Manche der Berliner kauften sich auch hier  ein Grundstück, z.B. Carl Pralow, Alfred Schrobsdorff und Paul Tafelmeyer. Bei Lieskes wurde um 1920 der Saal gebaut. Nun hatten die Pätzer Einwohner eine weitere Lokalität  um ihren Vergnügungen nachzugehen. Der 1893 gegründete Pätzer Gesangverein veranstaltete hier viele Feste: Maskenbälle, Rosenbaum und Fastnachtsfeiern. Während einer dieser Feierlichkeiten bildete sich die legendäre Polonaise von Gästen und Kapelle, die aus dem Saal hinüber zum Hörning bis zum Wasser und wieder zurück in den Saal zog! Die Ziegeleiarbeiter feierten alljährlich zum Ende des Sommers ihr Abschiedsfest in Lieskes Gaststätte „Siegeskranz“.

                                                    Hochzeitsfeier im neuerbauten Saal 1922

1911 starb Otto Lieske mit nur 48 Jahren an Magenkrebs. Seine Nachfolge traten sein Sohn Willi und dessen Ehefrau Lieschen an. Lieschen Lieske war ihrem Mann besonders in der Gastwirtschaft eine große Hilfe. Sie war nämlich die Tochter des Gastwirtes Julius Jänicke, der seit 1905 mit seiner Frau Selma das „Gasthaus Julius Jänicke“ an der Dorfaue betrieb, und so kannte sie sich bestens im Metier aus.  Willi Lieske führte nun mit seiner Frau das „Restaurant zum Grünen Kranze“, den ehmaligen„Siegeskranz“. 1922 konnte die Familie staatliches Land erwerben, um damit den Landwirtschafts-Betrieb zu erweitern.

Davon profitierte auch die Gaststätte. 1929 wurden die Garagen mit Aborten gebaut und die Küche erweitert. Vor dem Haus gab es eine Tankstelle.

Bemerkenswert ist, dass Lieschen Lieske, die Frau des Wirtes, zu den ersten Frauen in Deutschland gehörte, die einen Führerschein besaßen! Laut Überlieferung fuhr die Familie einen österreichischen PKW der österreichischen Marke „Steyr“.

Die „Goldenen Zwanziger“ waren schnell vorbei, 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Auch Otto, Lieskes einziger Sohn, wurde eingezogen – und kam nicht wieder.

Am Ende des 2. Weltkrieges richtete man in dem Haus ein Lazarett ein. Im Hof soll es den Erzählungen nach ein Massengrab verstorbener Verwundeter gegeben haben, die aber nach Kriegsende umgebettet wurden. Nach 1945 konnte Familie Lieske Bauernhof und Restaurant nur noch bis zum plötzlichen Tod des Hausherrn Willi Lieske (1955) betreiben. Ihn ereilte, während er arbeitete, auf seinem Lanz Bulldog ein tödlicher Schlaganfall. Lieschen Lieske stand mit ihren zwei Töchtern allein da. Die Ältere, Gerda, war bereits mit Frank Riesenberg, einem Reisebusunternehmer, verheiratet und verließ mit ihm und ihren zwei Söhnen in den 50er Jahren Pätz. Helga war unverheiratet und konnte aus gesundheitlichen Gründen keinen Gaststättenbetrieb führen. Der Konsum, später die HO (Handelsorganisation) übernahmen  die Gaststätte, die nun „Lindenhof“ hieß, und setzten  Objektleiter ein.

Einer von ihnen war von 1967 bis 1980 Wolfgang Lehmann, der Vater der jetzigen Wirtin. Er, mit seiner Lederschürze, immer um das Wohl seiner Gäste bemüht, und seine Frau Gertrud, sind noch jetzt vielen älteren Pätzern  in angenehmer Erinnerung. Gerdi kochte, während Wolfgang am Tresen stand und Bier zapfte – über sich an der Decke hing seine Bier-Bembel-Sammlung. Damals gab es im Lindengarten noch die Pfingstkonzerte und das beliebte Rosenbaumfest.

1960 entstand als Anbau ein neuer Gastraum, die sogenannte Veranda. Der Saal war lange Zeit  nicht nutzbar, wurde aber nach Renovierungsarbeiten im August 1961 mit einer Tanzveranstaltung wiedereröffnet. Viele Jahre lang wurde der Saal für Feiern, Diskos und Konzerte genutzt. Der Pätzer Jugendclub befand sich an der Stirnseite des Saales im Keller. Die Mitglieder und der DJ Bernd Riemer schafften es mehrmals,  DDR-bekannte Bands wie „Babylon“  oder „Joco Dev“ in den Lindenhof nach Pätz zu holen. Sportgruppen, wie Federball- und  Tischtennisspieler, nutzten den Saal regelmäßig für Training und Turniere. 1984 musste er dann abermals wegen Baumängeln gesperrt werden und der Streit um die Finanzierung der Instantsetzung entbrannte. Die HO kündigte den Mietvertrag und wollte die Bewirtschaftung ohne Mietvertrag fortsetzen, wenn die Baumängel behoben waren, sich daran allerdings nicht beteiligen. Helga Lieske als Eigentümerin und die Gemeinde Pätz, vertreten durch die Bürgermeisterin Doris Damm, schafften es mit Hilfe vieler Pätzer Bürger den Saal bis 1989 instantzusetzen. Als dann auch die HO mit Androhung der Räumung zu einem neuen Mitvertrag „gezwungen“ werden konnte, stand ab 1990 weiteren Feiern nichts mehr im Wege. Private Familienfeste, der jährliche Siedlerball und die, von der Pätzer Feuerwehr organisierten Silvester-Partys fanden hier bis 2011 statt. Allerdings wurden Saal und Gaststätte nie wirklich saniert. Nach der Wende hatten die Erben von Lieskes lediglich einige Renovierungsarbeiten vorgenommen. Ab 2021 war der Saal dann nicht mehr für die Öffentlichkeit nutzbar. In Pätz existiert seitdem keine Lokalität mehr, die Feierlichkeiten, Vorträge  oder Versammlungen mit vielen Besuchern zulässt.

Claudia Ehrenhard, die Tochter von Gertrud und Wolfgang Lehmann, wurde schon 1987 von der HO als Objektleiterin  eingesetzt, machte sich 1990 selbständig und führt die Gaststätte bis heute. Hier gibt es leckere Hausmannskost beim „Essen satt“ am Wochenende, man kann tolle Buffets bestellen oder aber gleich im Lindenhof feiern. Von Donnerstag bis Sonntag ist der „Lindenhof“ geöffnet. Vorbestellungen nimmt die Wirtin gern telefonisch unter 033763-63360 entgegen.

Leider nagt der Zahn der Zeit immer weiter an allen alten Gebäuden des Gehöftes, weshalb sich der Besitzer zum Verkauf der gesamten Immobilie entschlossen hat.

Das ist natürlich für Claudia Ehrenhard  ein tiefer Einschnitt, denn sie verliert dadurch nicht nur ihren Arbeitsplatz sondern auch ihre Wohnung.

Die Gaststätte der Familie Lieske in der Lindenstr. 4  hat eine lange Geschichte, wie oben beschrieben, und ist aus der Historie von Pätz nicht wegzudenken. Nun soll die letzte von zeitweise sieben Gaststätten im Ort über kurz oder lang geschlossen werden. Sehr traurig, und außerdem besteht die Angst, dass ein Bauriese wie Bonava das große Gelände kauft, die alten Gebäude abreißt und uns mitten ins Dorf viele uniforme Stadtvillen stellt. Hoffentlich möchte der Eigentümer, der selbst in Pätz geboren, aber als Kind weggezogen ist, dass möglichst viel erhalten bleibt und wählt einen entsprechenden Käufer aus. Mit viel materiellem und ideellem Einsatz lässt sich aus dem alten „Lindenhof“ ein Schmuckstück machen mit Mietwohnungen, dem Saal als Feier-und Begegnungsort sowie einer Gaststätte, die regionale Küche anbietet – so wie sie Lieschen Lieske, Gertrud Lehmann und ihre Tochter Claudia Ehrenhardt zauberten und noch zaubern.

Wenn die Pätzer nur rechtlich und finanziell könnten, wie sie wollen… Es gibt viele Ideen, aus denen Initiative werden würde, denke ich (Stand November 2023).

Britta Bergter (Orts-Chronistin Pätz)

Eine Bitte: Sollte noch jemand alte Postkarten oder Fotos, Zeitungsberichte etc über Pätz besitzen und mir diese zum Einscannen vorübergehend überlassen, freue ich mich sehr!